EINMAL HAPARANDA UND ZURÜCK
Eine Reise von Christel und Joachim Blanck – Sommer 2012
Statistik
Seetage: 63
Hafentage: 31
Reisetage gesamt: 91
Strecke unter Segel:1.655,4 sm
Strecke unter Motor:760,1 sm
Strecke im Schlepp:0 sm
Strecke der gesamten Reise: 2.415,5 sm
Schleusen (Anzahl): 0
Mastlegen (Anzahl): 0
Wasserstraßen oder Häfen
Deutschland
Ueckermünde – Oderhaff
Polen
Kaiserfahrt – Swinoujście – Dziwnów – Kołobrzeg – Darłowo – Łeba – Władysławowo – Hel
Litauen
Danziger Bucht – Klaipėda
Lettland
Liepāja – Pāvilosta – Ventspils – Irbenstraße – Rigaischer Meerbusen
Estland
Möntu – Virtsu – Moonsund – Haapsalu – Dirhami
Finnland
Finn. Meerbusen – Hanko – Pargas Port – Velkuanamaa – Uusikaupunki – Rauma –
Reposaari – Kaskinen – Bergö – Wasa – Sträkaviken – Ins. Ohtakari – Raahe –
Marjaniemi (Ins. Hailuoto)
Schweden
Haparanda hamn – Ins. Brändöskäret – Luleå – Ins. Börstskäret – Bureå – Sikeå – Umeå – Järnäsklubb – Norrfällsviken – Barsviken – Stocka – Ins. Agön – Sandarne – Ins.
Storjungfrun – Öregrund – Ins. Lidö – Ins. Möja – Ins. Utö – Ins. Ringsön – Arkösund – Flatvarp – Västervik – Ins. Alö – Paskallavik – Kalmarsund – Mönsterås – Mörbylånga (Ins. Öland) – Ins. Utklippan
Dänemark
Bornholmsgatt – Ins. Christians Ø – Nexø (Bornholm)
Polen
Pommersche Bucht – Świnoujście – Kaiserfahrt
Deutschland
Oderhaff – Ueckermünde
Reisetagebuch
Nachdem wir i. J. 2005 wegen eines Todesfalls in der Familie bei einem bis Haparanda geplanten Törn auf Höhe der Höga kusten umkehren mußten, wollten wir es in diesem Jahr noch einmal wissen.Frühzeitig wurde mit den Törnvorbereitungen begonnen. Die benötigten Karten, Handbücher und einschlägige Literatur wurden beschafft, touristisches Informationsmaterial besorgt und das Schiff durch Einbau eines Seekartenplotters für die Navigation in den Schären ertüchtigt. Weiterhin war langfristig geplant, in dem estnischen Ostseeheilbad Haapsalu (hier kurten schon die Zaren) einen einwöchigen Kuraufenthalt mit physiotherapeutischen Anwendungen einzulegen.
Am 14. Mai ging es endlich los, der erste Hafentag mußte aber schon in Świnoujście eingelegt werden, da Probleme mit dem Windgerät aufgetreten waren. Nach telefonischer Konsultation mit FERROPILOT (Berlin) konnten wir die erforderliche Reparatur mit Bordmitteln erledigen, der Weiterfahrt Richtung Osten stand nichts mehr im Wege.
Kołobrzeg bot eine echte Überraschung. Die Bauarbeiten im Hafen sind in diesem Frühjahr abgeschlossen worden, ein sehr schönes Service-Gebäude hat die vergammelten Sanitärcontainer abgelöst und bei den kleinen, aber manchmal entscheidenden Details auf den Stegen konnte man feststellen, daß Planer am Werk waren, die vom Segelsport Ahnung haben.
In Łeba mußten wir unbedingt einen Tag bleiben, um wieder einmal einen Ausflug zu den Dünen zu machen.
Vor der ungeliebten langen Überfahrt über die Danziger Bucht legten wir in Hel noch einen Ruhetag zum Kraftschöpfen ein, bei der Überfahrt selbst war es kalt und die Windverhältnisse zwangen zu langen Motorstrecken.
In Klaipėda finden bei der seeseitigen Einreise ja keine formellen Grenzkontrollen mehr statt, aber auf dem Pier der Grenzkontrollstelle machte ein Beamter mittels Hornsignal auf sich aufmerksam und wollte Woher, Nationalität und Crewstärke beantwortet haben. Nach fast 26 Stunden waren wir dann froh, festzumachen zu können und in die Koje zu kriechen.
Im ansprechend renovierten Old Castle Port zeigten sich allerdings heftige organisatorische Schwächen beim Hafenpersonal. Zweimal hintereinander wurden wir von vermeintlichen Stamm-Mietern aus vom Hafenmeister angewiesenen Liegeplätzen vertrieben, die jedoch in keiner Weise als vermietet gekennzeichnet waren. Aber die schiere Größe der diese Plätze beanspruchenden Boote ließ auf das für den Hafenmeister hoffnungslos unterlegene Kräfteverhältnis gegenüber den Bootseignern schließen.
Bei dem Tagestörn von Liepāja nach Pāvilosta mußte ein ganz kurzfristig eingerichtetes militärisches Sperrgebiet weiträumig umfahren werden und wir kamen dann noch zum Anblick einer Unterwassersprengung ca. 0,5 sm achteraus, der Countdown wurde über Ch.16 richtig spannend heruntergezählt.
Ventspils haben wir so vorgefunden wie immer: Der Räucherqualm aus der Fischfabrik steht bei W-lichen Winden stinkend ins Hafenbecken hinein, mehrere Yachten haben es sich sehr aufgelockert längsseits bequem gemacht und der Hafenmeister weist uns an, bei steifem Querwind an eine Ankertonne zu gehen und vorne zwischen zwei Längsseitsliegern festzumachen. Er verschwand dann in sein warmes Büro, die Deutschen duckten sich in ihre Boote ab, aber ein australischer Skipper erbarmte sich unser und übernahm unsere Vorleine. Trotzdem blieben wir drei Tage in Ventspils, Christel mußte eine Magen-Darm-Infektion auskurieren und die Windlage lud auch nicht zum Weiterlaufen ein.
Durch die Irben-Straße und in den Rigaischen Meerbusen hinein ging es dann weiter nach Saaremaa. In Möntu auf der Halbinsel Sörve kann man im alten Fischereihafen nur längsseits (bei Fülle sicher auch mit Heckanker) am ehemaligen Fähranleger festmachen, der mal vorhandene und im Hafenführer beschriebene Schwimmsteg ist ein Opfer des Eisgangs geworden und liegt demoliert hoch und trocken, aber da wir dort ganz alleine lagen, brauchten wir den knappen Platz mit niemandem zu teilen. Weitere Liegemöglichkeiten gibt es an der Fischerpier (ca. 2 m hoch, Autoreifen). Die Sanitäranlagen sind allerdings vom Feinsten. Am 6. Juni konnten wir endlich in Haapsalu anlegen. Von der in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen Rivalität zwischen der Marina und dem örtlichen Segelverein ist nichts mehr zu spüren, das alte Vereinsgebäude existiert nicht mehr und hat einem Neubau Platz gemacht, die Gastsegler finden nach unserer Kenntnis jetzt allerdings nur Platz an den der Grandholm Marina gehörenden Stegen. Bei deren moderaten Preisen, dem Service und der Freundlichkeit des Personals soll das allerdings nicht als Einschränkung verstanden werden. Im Spa Hotel Laine wurden wir schon erwartet, nach dem Einchecken am Mittwoch fanden die ärztliche Untersuchung, Festlegung des Therapieplanes und die ersten Anwendungen dann am Donnerstag statt. Wir fanden uns umsorgt, kompetent und freundlich behandelt und Sprachschwierigkeiten spielten eigentlich keine Rolle. Nach einer Woche ging es dann weiter, unser Resümee: Überall in Estland (mit Ausnahme des Hafens Virtsu, den man nach Möglichkeit meiden sollte) findet man gastfreundliches Personal und gute materielle Bedingungen für den Segler vor. Wo sie, wie z. B. in Dirhami, noch nicht vollständig vorhanden sind, wird erkennbar an deren Realisierung gearbeitet.
Ab jetzt ging es an der steinreichen finnischen Westküste immer nordwärts. Uusikaupunki: quirliges Seglerleben, Rauma: die altstädtischen Holzhausarchitektur steht auf der UNESCO-Welterbeliste, die Bürgersteige werden mit Fußbodenheizung ausgestattet (!), Wasa: sehr angenehmes Liegen im Hafen des Segelvereins, Raahe: liebenswerte Kleinstadt mit den ausländische Segler sehr zuvorkommend behandelnde Mitgliedern des Segelvereins und eine Vielzahl von Inselhäfen, die wir zu dieser frühen Jahreszeit oftmals ganz für uns allein hatten.
Schließlich haben wir am 4. Juli das Traumziel vieler deutscher Segler Haparanda hamn erreicht und uns an der Erinnerungswand im Segelverein mit einem ARGO-Wimpel mit Widmung verewigt.
Die Zufahrt nach Haparanda hamn durch das Innenfahrwasser ist wegen teilweiser geringer Tiefen nervenraubend, aber der zum „Navigationsassistenten“ ernannte Kartenplotter hat sich wieder gut bewährt. Ansonsten ist hier nichts weiter los, aber zum Auspacken der Fahrräder für eine Fahrt in die 7 km entfernte Stadt Haparanda hatten wir keine Lust.
Der kleine Hafen auf der früher nur von Fischern bewohnten Insel Brändöskäret erwies sich als echte Entdeckung. Es wird dort kaum noch gefischt, die meisten Fischerhütten sind heute Ferienhäuser, es gibt auf der Insel keine befestigten Wege, keinen Strom (außer selbsterzeugtem Solarstrom) und kein fließendes Wasser. Beim Besuch der kleinen Fischerkirche fühlt man sich in das 18. Jhd. zurückversetzt.
Beim Einlaufen in den nächsten größeren Hafen Luleå bestaunten wir zunächst die dort liegenden mächtigen Eisbrecher ATLE und FREJ. Sie gehören zu der aus drei schwedischen und zwei finnischen Schiffen bestehenden Eisbrecherflotte, die in der Bottenwiek während der Eisperiode die Navigation sicherstellt. Diese fünf typgleichen Schiffe der sog. ATLE-Klasse beeindrucken durch ihre technischen Daten: LüA 104,6 m, BüA 23,8 m, T 7,3 – 8,3 m, Verdrängung 9.500 t, Maschinenleistung diesel-elektr. 21.700 PS, Pfahlzug 190 t. (Angaben aus WIKIPEDIA)
Luleå ist eine pulsierende Stadt, aus ihrem Hafen wird hauptsächlich Eisenerz aus Kiruna verschifft, welches mit schweren Güterzügen zu den Verladeanlagen herangefahren wird. Von Luleå aus haben wir mit einem Mietauto einen Ausflug ins Landesinnere unternommen.
An dem beeindruckenden Wasserfall Storforsen vorbei, den Polarkreis passierend haben wir Jokkmokk besucht, wo ein Museum Einblick in die Kultur der Samen verschafft. Am nächsten Vormittag waren wir noch in der nahe Luleå gelegenen Kirchstadt Gammelstad. In früheren Zeiten war in den Weiten des Nordens der Kirchbesuch zum Gottesdienst eine zeitaufwendige Angelegenheit, so daß eine Übernachtung am Kirchort unumgänglich war. Dazu haben sich die auswärtigen, in verstreuten Dörfern und Einzelgehöften ansässigen Gemeindemitglieder in der Umgebung der Kirche kleine Häuser errichtet und so gleichzeitig ihre sozialen Kontakte gepflegt (einschließlich organisierter Heiratsvermittlung). Heute sind diese Häuser teilweise dauerhaft bewohnt, eine Vermietung als Ferienhäuser ist nicht gestattet und ein Verein kümmert sich engagiert um die Erhaltung dieses auf der UNESCO-Welterbeliste stehenden einzigartigen Ensembles.
Ein notwendig gewordener Ersatz des Großfalls konnte in Luleå noch erledigt werden, glücklicherweise gibt es hier hafennah einen gut sortierten Bootsausrüster.
Aber den Segler zieht es trotz aller Schönheiten des Landes weiter, zumal wir ja seit Haparanda auf Heimatkurs waren.Viele der heute ausschließlich dem Wassersport dienende Häfen im Bottnischen Meerbusen haben eine lange, auf Fischerei, Industrie, Handel und Seetransport beruhende Vergangenheit. Alte Lagerhäuser, Reste von Gleisanlagen und die Bedürfnisse des Wassersports oftmals weit übersteigende Kailängen legen davon Zeugnis ab. Heute werden diese zeitgeschichtlichen Relikte vielfach touristisch genutzt. Haparanda, Bureå, Sikeå, Paskallavik und selbst das quirlige Västervik bieten dafür Beispiele.
Nach einer sehr unruhigen Nacht am Schwimmsteg der Ins. Börstskäret haben wir am 10. Juli bei guten Windverhältnissen die 63 nm bis Bureå in 12½ Stunden abgesegelt und uns dort folgerichtig wieder einen Hafentag gegönnt, natürlich nicht wissend, daß uns widriges Wetter im nächsten Hafen Sikeå wiederum zu zwei Hafentagen verhelfen würde. Das war aber keine vertane Zeit, Sikeå war früher ein bedeutender Erzhafen, im Hinterland gibt es in Robertsfors das Bruks-Museum, welches über die industrielle Vergangenheit und über die lange schon abgebaute elektrifizierte Schmalspurbahn nach Sikeå hamn informiert. Auf einer Stummelstrecke wird ausgehend von dem zum Museum gehörenden Lokschuppen (schwed. Lokstall, schönes Wort) noch Museumsbahnbetrieb durchgeführt.
Die nächsten Tage waren gekennzeichnet von einem Wechsel von Hafen- und Schärenübernachtungen, denn spätestens nach drei stromlosen Tagen verlangte die Batterie wieder nach Netzeinspeisung und wir nach einer warmen Dusche und frischem Trinkwasser.
Auf der schönen Insel Storjungfrun haben wir uns zwei Tage aufgehalten, wobei der zweite Tag einem falsch interpretierten Wetterbericht geschuldet war. Dafür hat es sich am Folgetag nach Öregrund herrlich gesegelt, 66 sm in 10 h ist für unsere ETAP eine stolze Leistung. Mit als stille Ankerbuchten beschriebenen Plätzen ist das so eine Sache, denn das haben ja viele Segler gelesen. In der Bucht Lidön lagen abends 52 Boote, verteilt an den Felsen, am Steg und vor Anker und es kamen bis in die Nacht immer noch welche.
Aber lieber eine locker gefüllte Ankerbucht als einen Hafen wie Utö (58°58’ N’ 018°19’ E). An diesem Freitag, dem 27. Juli schien das segelnde Schweden vollständig auf dem Wasser zu sein, Steg-, Felsen- und Molenliegeplätze waren schon um 15.00 Uhr bis auf die letzte Lücke belegt und selbst im Hafenbecken wurden die Ankerplätze knapp. Die notwendig gewordenen Einkäufe und Frischwasser wurden mit dem Schlauchboot herangeholt.
Von Arkösund aus mußte ich nach Norköping fahren, ein schon länger anhaltender Zahnschmerz hatte die Ursache in einer Zahnwurzelentzündung, die hier einer Behandlung bedurfte. Bei diesem Stadtbesuch haben wir einen kurzen Einblick gewonnen, den wir dann am nächsten Vormittag mit einem abermaligen Stadt- und Museumsbesuch vertieft haben.
Leider war diese erste Zahnbehandlung nicht nachhaltig, in Västervik schloß ich 2. August nochmals Bekanntschaft mit dem schwedischen Gesundheitswesen, diese Nachbehandlung hat aber bis Berlin durchgehalten. Nach weiteren Zwischenstopps haben wir uns schon fast Ausgangs des Kalmarsunds in Mörbylånga auf Öland zwei Tage aufgehalten, auch wieder wegen Starkwindwarnung, um schließlich am 10. August aus Utklippan auslaufend nach 37 Tagen die schwedischen Gewässer zu verlassen.
Die Fahrt über das Bornholmsgatt erforderte hohe Aufmerksamkeit, die Frachter kamen wie auf einer Perlenschnur erst von E nach W und dann von W nach E. Da nahe unserem Kurs der
Tiefwasserweg einen Knick nach SW macht, war das Fahrverhalten der Großschiffe teilweise schwer einzuschätzen, doch es gab keine Probleme, lediglich zwang uns der schwächelnde Wind auf dem zweiten Tagesabschnitt zum Motoren.
Von Christians Ø nach Nexø auf Bornholm und dann nach Świnoujście gab es zum Abschluß der Ostseefahrt noch zwei schöne Segeltage.
Schließlich wurde am 15. August der allerletzte Abschnitt unseres Sommertörns über das Haff nach Ueckermünde in aller Ruhe abgesegelt, bis wir nach dem 15-Uhr-Brückenzug der Stadtbrücke unser Boot, geschmückt mit den Gastlandflaggen der besuchten Länder, wieder im heimatlichen Stand festmachen konnten.
Fazit: Es war eine ganz schön lange und teilweise auch kräftezehrende Reise. Ich hätte vorher nicht gedacht, daß die andauernde Aufmerksamkeit beim Navigieren in den Schären so eine starke Nervenanspannung erzeugt, denn wir waren ja – Hafentage eingerechnet – ununterbrochen 48 Tage in Schärengewässern. Da waren dann die Fahrten über freies Wasser teilweise wie Erholung. Aber wir haben unvergeßliche Erlebnisse in uns aufgenommen, teilweise war es Segeln pur, aber leider verzeichnet das Logbuch auch, den Wind- und Wetterverhältnissen geschuldet, einen unverhältnismäßig hohen Anteil von 31% Motorfahrt, schade.
Berlin, im Oktober 2012